Iphigenie auf Tauris
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Heraus in eure Schatten Der König sendet mich hierher
Heraus in eure Schatten
IPHIGENIE. Heraus in eure Schatten, rege Wipfel Des alten, heil'gen, dichtbelaubten Haines, Wie in der Göttin stilles Heiligtum, Tret' ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl, Als wenn ich sie zum erstenmal beträte, Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher. So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe; Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd. Denn ach! mich trennt das Meer von den Geliebten, Und an dem Ufer steh' ich lange Tage, Das Land der Griechen mit der Seele suchend; Und gegen meine Seufzer bringt die Welle Nur dumpfe Töne brausend mir herüber. Weh dem, der fern von Eltern und Geschwistern Ein einsam Leben führt! Ihm zehrt der Gram Das nächste Glück vor seinen Lippen weg, Ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken Nach seines Vaters Hallen, wo die Sonne Zuerst den Himmel vor ihm aufschloß, wo Sich Mitgeborne spielend fest und fester Mit sanften Banden aneinander knüpften. Ich rechte mit den Göttern nicht; allein Der Frauen Zustand ist beklagenswert. Zu Haus und in dem Kriege herrscht der Mann, Und in der Fremde weiß er sich zu helfen. Ihn freuet der Besitz; ihn krönt der Sieg! Ein ehrenvoller Tod ist ihm bereitet. Wie eng gebunden ist des Weibes Glück! Schon einem rauhen Gatten zu gehorchen, Ist Pflicht und Trost; wie elend, wenn sie gar Ein feindlich Schicksal in die Ferne treibt! So hält mich Thoas hier, ein edler Mann, In ernsten, heil'gen Sklavenbanden fest. O wie beschämt gesteh' ich, daß ich dir Mit stillem Widerwillen diene, Göttin, Dir, meiner Retterin! Mein Leben sollte Zu freiem Dienste dir gewidmet sein. Auch hab' ich stets auf dich gehofft und hoffe Noch jetzt auf dich, Diana, die du mich, Des größten Königs verstoßne Tochter, In deinen heil'gen, sanften Arm genommen. Ja, Tochter Zeus', wenn du den hohen Mann, Den du, die Tochter fordernd, ängstigtest, Wenn du den göttergleichen Agamemnon, Der dir sein Liebstes zum Altare brachte, Von Trojas umgewandten Mauern rühmlich Nach seinem Vaterland zurückbegleitet, Die Gattin ihm, Elektren und den Sohn, Die schönen Schätze, wohl erhalten hast, So gib auch mich den Meinen endlich wieder Und rette mich, die du vom Tod errettet, Auch von dem Leben hier, dem zweiten Tode!
Der König sendet mich hierher
ARKAS. Der König sendet mich hierher und beut Der Priesterin Dianens Gruß und Heil. Dies ist der Tag, da Tauris seiner Göttin Für wunderbare neue Siege dankt. Ich eile vor dem König und dem Heer, Zu melden, daß er kommt und daß es naht. IPHIGENIE. Wir sind bereit, sie würdig zu empfangen, Und unsre Göttin sieht willkommnem Opfer Von Thoas' Hand mit Gnadenblick entgegen. ARKAS. O fänd' ich auch den Blick der Priesterin, Der werten, vielgeehrten, deinen Blick, O heil'ge Jungfrau, heller, leuchtender, Uns allen gutes Zeichen! Noch bedeckt Der Gram geheimnisvoll dein Innerstes; Vergebens harren wir schon jahrelang Auf ein vertraulich Wort aus deiner Brust. Solang ich dich an dieser Stätte kenne, Ist dies der Blick, vor dem ich immer schaudre; Und wie mit Eisenbanden bleibt die Seele Ins Innerste des Busens dir geschmiedet. IPHIGENIE. Wie's der Vertriebnen, der Verwaisten ziemt. ARKAS. Scheinst du dir hier vertrieben und verwaist? IPHIGENIE. Kann uns zum Vaterland die Fremde werden? ARKAS. Und dir ist fremd das Vaterland geworden. IPHIGENIE. Das ist's, warum mein blutend Herz nicht heilt. In erster Jugend, da sich kaum die Seele An Vater, Mutter und Geschwister band, Die neuen Schößlinge, gesellt und lieblich, Vom Fuß der alten Stämme himmelwärts Zu dringen strebten, leider faßte da Ein fremder Fluch mich an und trennte mich Von den Geliebten, riß das schöne Band Mit ehrner Faust entzwei. Sie war dahin, Der Jugend beste Freude, das Gedeihn Der ersten Jahre. Selbst gerettet, war Ich nur ein Schatten mir, und frische Lust Des Lebens blüht in mir nicht wieder auf. ARKAS. Wenn du dich so unglücklich nennen willst, So darf ich dich wohl undankbar nennen. IPHIGENIE. Dank habt ihr stets. ARKAS. Doch nicht den reinen Dank, Um dessentwillen man die Wohltat tut; Den frohen Blick, der ein zufriednes Leben Und ein geneigtes Herz dem Wirte zeigt. Als dich ein tief geheimnisvolles Schicksal Vor so vielen Jahren diesem Tempel brachte, Kam Thoas, dir als einer Gottgegebnen Mit Ehrfurcht und mit Neigung zu begegnen; Und dieses Ufer war dir hold und freundlich, Das jedem Fremden sonst voll Grausens war, Weil niemand unser Reich vor dir betrat, Der an Dianens heil'gen Stufen nicht Nach altem Brauch, ein blutig Opfer, fiel.
Personen
IPHIGENIE THOAS, König der Taurier OREST PYLADES ARKAS Schauplatz: Hain vor Dianens Tempel