From PM@IERS1.ENERGIETECHNIK.UNI-STUTTGART.DEWed Oct 25 19:37:11 1995
Date: Wed, 25 Oct 1995 16:17:12 GMT+100
From: Petra Mayerhofer <PM@IERS1.ENERGIETECHNIK.UNI-STUTTGART.DE>
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Subject: Re: Urteil von DenHaag zu Frauenquoten

Das Urteil ist jetzt schon ein paar Tage her und ich habe die
Zeitungsartikel gerade nicht zur Hand, bitte entschuldigt also Fehler
bei den folgenden Angaben.
 
Der Europaeische Gerichtshof kam zu der Ansicht, dass das Bremer
Gleichstellungsgesetz im Widerspruch zur Europaeischen Richtlinie
zur Gleichstellung von 1976 steht. Der Anlass der Entscheidung war
die Klage eines deutschen Gartenbauingenieurs vor einem deutschen
Arbeitsgericht, weil er nicht die Leitung des Bremer Gartenbauamtes
bekam. Er erfuellte die gleichen formalen Kriterien wie eine
Mitbewerberin. Sie bekam die Stelle, da laut Bremer
Gleichstellungsgesetz bei gleicher Qualifikation und einem
Frauenanteil unter 50 % Frauen bei der Besetzung von Stellen des
oeffentlichen Dienstes vorzuziehen sind. Zwei untere Instanzen hatten
sich gegen den Gartenbauingenieur entschieden; der
Bundesgerichtshof dagegen hielt es fuer moeglich, dass das Gesetz
nicht mit der Europaeischen Richtlinie konform ist und stellte eine
Anfrage beim Europaeischen Gerichtshof.
 
Es ist noch nicht ganz abzusehen, welche Auswirkungen die
Entscheidung genau haben wird. Einige (ca.  5-10 von 16)
Bundeslaender haben aehnliche, aber nicht gleiche Regelungen in
ihren Landesgleichstellungsgesetzen. Sie betreffen aber sowieso nur
Beschaeftigte des oeffentlichen Dienstes. Die Frauenministerin von
Nordrhein-Westfalen meinte z.B., dass das Gerichtsurteil auf ihre
Quotenregelung keinen Einfluss haben wuerde, da ueber eine
Sonderfallklausel eine strikte Vorzugsbehandlung ausgeschlossen ist.
Die deutschen Frauenbeauftragten zeigen sich  inzwischen von der
Wirksamkeit von Quotenregelungen, sei es nun Entscheidungs- oder
Ergebnisquote, nicht mehr so ueberzeugt und sehen es nun eher als
ein "Mosaikstein" der Frauenfoerderung.
 
In den naechsten Monaten steht ein Urteil des deutschen
Bundesverfassungsgerichts an, bei dem eine aehnliche Regelung
daraufhin ueberprueft wird, ob sie dem deutschen Grundgesetz
(Frauen und Maenner sind gleichberechtigt ...) entspricht.
 
Die Kommentare in den Leitartikeln waren unterschiedlich. Einige
waren haemisch, endlich wuerden Frauen nicht mehr durch
Vorzugsbehandlung gedemuetigt und haetten die Chance, zum einen
ihre Leistung zu beweisen und  zum anderen nicht als Quotenfrau
verunglimpft zu werden.
 
Andere bedauerten, dass die europaeische Richtlinie, die explizit die
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ausschliesst, eng
ausgelegt wurde, dass die Richter also die strukturelle
Diskriminierung nicht beruecksichtigt haben. Die europaeische
Richtlinie von 1976 hat sich in Deutschland bisher eher positiv fuer die
Frauen ausgewirkt, da dadurch etliche diskriminierende deutsche
Gesetze gekippt werden konnten.
 
Die Europaeische Kommission zeigte sich betroffen von dem Urteil und
sagte, es muesste nun die Richtlinie, die das Ergebnis eines Vertrages
zwischen den EU-Laendern ist, dementsprechend abgeaendert
werden. Die deutsche Bundesregierung hat bereits klargestellt, dass
sie in dieser Richtung  _keine_ Initiative ergreifen wird.
 
Gruss
 
Petra Mayerhofer
 
pm@iers1.energietechnik.uni-stuttgart.de